Yann Rausis zählt zu den Favoriten für die Freeride World Tour. Nebenher macht er Filme, studiert Physik, liest Nietzsche. Höchste Zeit, dass die Schweiz den Walliser kennenlernt.
Samuel Burgener
Yann Rausis befährt eine Klippe im Skigebiet von Verbier im Unterwallis.
Yann Rausis ist einer der begabtesten Skifahrer der Schweiz, und vielleicht dauert es nur noch bis zum Ende dieses Winters, bis davon auch der deutschsprachige Teil des Landes erfährt. Rausis ist 26 Jahre alt und startet Mitte Januar in Hakuba in Japan in seine vierte Saison auf der Freeride World Tour, dem Wanderzirkus der besten Geländefahrer auf Ski und Snowboards. Die Saison 2020 soll Rausis’ beste werden.
Kaum ein Fahrer der Tour verbindet akribische Vorbereitung so spielend mit intuitivem Fahren wie Rausis. Er starrt vor den grossen Wettkämpfen oft mehrere Stunden mit dem Fernglas an die Steilhänge, merkt sich mögliche Routen, denkt sich selber in die Wand. Und dann, wenn es ernst wird, zieht er scheinbar mühelos Linien in den Berg, fährt und springt schwungvoll über Klippen und Abhänge, durch Verengungen und kleine Schluchten. Rausis sagte einst, er kombiniere Traum und Realität, bewege sich zwischen der Kontrolle des Risikos und einer gewissen Verrücktheit.
Rausis’ erster Film
Im Dezember brachte Rausis seinen ersten Film auf den Markt. «Skiing between» dauert zwölf Minuten, mischt athletisch geprägtes mit kunstvoll-verspieltem Freeriden. Rausis hat den Film konzipiert und ist darin der einzige Fahrer. Gefilmt wird er von vielen berühmten Kameraleuten der Szene. «Skiing between» soll nur der Anfang sein eines filmischen Schaffens, das Rausis als künstlerische Ergänzung zu den Wettkämpfen auf der Tour versteht.
Rausis ist in Orsières im Unterwallis aufgewachsen. Das Dorf liegt am Fuss des Val Ferret, eines Seitentals im Gebiet des Grossen St. Bernhards. Mit drei Jahren fuhr Rausis erstmals auf Ski, seither hat er jeden Winter im Schnee verbracht. Im heute geschlossenen Ski-Resort des Grossen St. Bernhards fand er eine weite, oft unberührte Natur. Dort übte Rausis das freie Fahren im Pulverschnee, dort entdeckte er die Lust am kreativen Skifahren.
Er will nach vorne: der Freerider Yann Rausis.
Bild: FWT
In der Schule in Orsières zählte Rausis zu den hellen, wissbegierigen Köpfen. Gemeinsam mit einem anderen Jungen aus dem Val Ferret forderte er die Lehrer und sich selber heraus. Der andere Junge war Daniel Yule, heute einer der weltbesten Slalomfahrer. Rausis und Yule duellierten sich in ihrem Lernwillen, spornten sich gegenseitig an. Die Schule war ihr erstes kompetitives Umfeld. Bis heute sind Rausis und Yule Freunde – und ihre Wege ähneln sich. Rausis hat den Master in Physik an der ETH Lausanne geschafft. Er hat sich jahrelang mit Philosophie beschäftigt und sich an Nietzsche abgearbeitet. Yule macht einen Master-Studiengang in Wirtschaft, mag Fachliteratur und Belletristik.
2020 will Rausis angreifen
Rausis und Yule haben immer auch den Sportsgeist geteilt, die Lust am Wettbewerb und schliesslich eine ungeheure Konstanz. Yule ist seit Jahren einer der beständigsten Fahrer im Weltcup, Rausis gilt seit Beginn als verlässlich guter Freerider auf der World Tour. 2017, in der ersten Saison, wurde er im Gesamtklassement Vierter, 2018 Fünfter. Im letzten Jahr startete er stark, verletzte sich aber in Kanada am Knie – und brach daraufhin die Saison ab.
Nun will Rausis angreifen, sich als Spitzensportler bekannt machen. Nach dem Saisonstart in Hakuba fährt er an den Wettkämpfen in Kanada, Andorra und Österreich. Ende März finden die Finals in Verbier statt, in seinem liebsten Skigebiet. Spätestens dann werden die Kameras auf ihn gerichtet sein.